Inhalt: In einer eigentümlichen Mischung aus Gegenwartsanalyse und Literarhistorie verarbeitet Günter Grass seine Erfahrungen bei Treffen der »Gruppe 47«, indem er sie auf ein fiktives Treffen von über 20 Dichtern, Verlegern und Kritikern aus der Barockzeit überträgt. Entstehung: Bereits 1966 stellt Grass in seiner Rede "Vom mangelnden Selbstvertrauen der schreibenden Hofnarren unter Berücksichtigung nicht vorhandener Höfe" in Princeton die Fragen, die sein Leben als Bürger und Künstler bestimmen: »"Soll sich der Schriftsteller engagieren?" - "Wie weit darf sich ein Schriftsteller engagieren?" - "Ist der Schriftsteller das Gewissen der Nation?"« Nach Jahren des Engagements im Wahlkampf der SPD gab Grass in "Das Treffen in Telgte" resignative Antworten. Anlass für die Erzählung bildete der 70. Geburtstag von Hans Werner Richter (* 1908), Gründer der »Gruppe 47«. Inhalt: Obwohl in poetologischen Fragen als auch konfessionell zerstritten, treffen sich im Jahr 1647 auf Einladung von Simon Dach (1605-59) zahlreiche Dichter und ihre Verleger in Oesede bei Osnabrück. Der Soldat Christoffel Gelnhausen (gemeint ist Hans Jacob Christoffel von R Grimmelshausen) bringt die Anwesenden 1670 auf dem Wirtshof der Courasche (der Protagonistin in Trutz Simplex) in Telgte unter, wo in der »Großen Diele« unter der Leitung von Simon Dach vornehmlich wirkungsästhetische Literaturdebatten stattfinden. Versammelt sind die größten Dichter der Zeit, u. a. Andreas Gryphius, Paul Gerhardt, Philipp von Zesen, Friedrich von Logau, Sigmund Birken und Johann Rist, sehr unterschiedliche und teilweise eitle Persönlichkeiten, die sich nur Dank Simon Dachs behut-samer Moderation als Gruppe empfinden. Am Anfang der Zusammenkünfte steht die Lesung zunächst poetologischer, dann literarischer Texte, die anschließend besprochen und kritisiert werden. Als die Treffen zunehmend orgiastische Züge annehmen, gekennzeichnet durch Völlerei und Ausschweifungen mit Mägden, und der ungeladene Komponist Heinrich Schütz die unrechte Requirierung von Schweinen und Gänsen durch Gelnhausen anprangert, wird den Anwesenden die Tragik ihres Tuns klar. Obwohl die Dichter schuldlos sein wollen an den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges, verstricken sie sich in Schuld: »Derweil das Vaterland zerrissen« ist und die Mächtigen den Westfälischen Frieden vorbereiten, führen die Poeten als arglose Nutznießer des Krieges wirkungslose Debatten. Sie ringen sich zwar zu einer Friedensresolution an die Kriegsparteien durch, doch wird diese durch ein Feuer auf dem Wirtshof vernichtet: Sie war zwischen »den Gräten des Fischgerichtes« vergessen worden. Aufbau: In 23 Kapiteln, in der Taschenbuchausgabe 1981 um »dreiundvierzig Gedichte aus dem Barock« ergänzt, verschränkt Grass kunstvoll barocke Debatten um Literatur und Sprache (wobei er reichlich aus den Originalschriften zitiert) mit den zeitgenössischen Umständen um die »Gruppe 47« und oszilliert so zwischen zwei Zeitpunkten, die um drei Jahrhunderte versetzt liegen. Wie 1947 war Deutschland auch 1647 materiell wie moralisch ruiniert; in beiden Zeiten stellt sich die Frage nach Kunst und Macht, nach Literatur und Moral. Wirkung: Die Erzählung wurde von der Kritik sehr positiv aufgenommen, einige Kritiker sahen sie aufgrund der liebenswürdigen, meist detailverliebten, niemals denunzierenden Porträts der Dichter sogar als ein »Meisterwerk« des Autors an. M. F
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