Inhalt: Michel de Montaigne, Autor der Essais und des Reisetagebuchs wurde am 28.2.1533 auf Schloß Montaigne in der Nähe von Bordeaux geboren. Grundstein für die Entwicklung seines ganz und gar einzigartigen Charakters war sicherlich seine ungewöhnliche Erziehung, von der er freimütig in einem seiner berühmten Essais ("Von der Erziehung") berichtet. Die ersten fünf Jahre seines Lebens wurde er von einem lateinisch sprechenden Erzieher betreut, so blieb es ihm erspart, das Lateinische erst mühselig lernen zu müssen. Auch wenn er später fast ausschließlich französisch sprach, fiel er in Momenten außergewöhnlicher Überraschung oder Anspannung unwillkürlich ins Lateinische. Montaigne wurde als Kind nicht geschlagen - er selbst tritt als einer der ersten Anwälte antiautoritärer Erziehung auf. Nach dem Studium der Rechte wird Montaigne Parlamentsrat seiner Heimatstadt Bordeaux. Hier trifft er das junge Genie Etienne de la Boétie, der zur prägenden Bekanntschaft seines Lebens wird, dessen Schriften Montaigne nach dem bestürzend frühen Tod des Freundes herausgibt und dem die gesamten Essais - besonders aber der Essai über die Freundschaft - gewidmet sind. 1571, drei Jahre nach dem Tod des Vaters, zieht sich Montaigne aus dem Trubel der Welt auf sein Schloß zurück. Hier, in dem mit gut tausend Büchern ausgestatteten Bibliotheksturm beginnt er mit der Niederschrift der Essais, die als Versuch einer Selbstfindung beginnt und zu einer monumentalen Reflexion über den Menschen überhaupt wird. "The proper study of mankind is man" sollte ein starkes Jahrhundert später Pope postulieren und damit der Traditionslast eines theozentrischen Weltbildes entgültig entsagen. 1580, in der ersten Ausgabe der Essais legte Montaigne in der Vorrede an den Leser dazu die Grundlagen: "Wäre es mein Anliegen gewesen, um die die Gunst der Welt zu buhlen, hätte ich mich besser herausgeputzt und käme mit einstudierten Schritten daherstolziert. Ich will jedoch, dass man mich hier in meiner einfachen, natürlichen und alltäglichen Daseinsweise sehe, ohne Beschönigung und Künstelei, denn ich stelle mich als den dar, der ich bin ... Ich selber, Leser, bin also der Inhalt meines Buches: Es gibt keinen vernünftigen Grund, dass Du deine Muße auf einen so unbedeutenden, so nichtigen Gegenstand verwendest". Dass es die Zeit vielfach wert ist, braucht nicht gesagt zu werden. Dem "nichtigen" Buch sollte ein enormer Erfolg beschieden sein: Als Montaigne 1588 den bereits um gut sechshundert Zusätzen erweiterten ersten beiden Teilen einen dritten Band folgen lässt, ging das Werk bereits in die vierte Auflage. Von 1600 bis 1650 wurden die Essais etwa jedes zweite Jahr wieder neu aufgelegt. Doch dem Autor war es nicht vergönnt, ein stilles Gelehrtenleben zu führen; um ihn tobte ein erbarmungsloser Religions- und Bürgerkrieg. Montaigne gelingt es, neutral zu bleiben, ja, selbst als er zwischen den Parteien vermittelt, entgeht er den Anfeindungen beider Seiten und bleibt auf seinem Landsitz von größeren Schäden verschont. Montaigne bereist Italien, die Schweiz und Deutschland - dabei entsteht sein Reisetagebuch. Fast zweihundert Jahre lang wird es Manuskript bleiben. Erst 1770 entdeckt man es - mit abgerissenem Titelblatt - in einer alten, verstaubten Truhe auf Schloß Montaigne. Bei seinen Aufzeichnungen vermeidet der begeisterte Reisende weitläufige Ausführungen über die großen Kunstwerke und Sehenswürdigkeiten. Er beäugt besonders die alltäglichen Sitten und Gebräuche der fremden Kulturen mit dem ihm eigentümlichen offenen, vorurteilslosen Blick, wägt Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Lebensweisen ab, ist fasziniert von der Reichhaltigkeit des Lebens. Mit beinahe kindlicher Naivität studiert er alles Neue. In Venedig erkundet er die Welt der Kurtisanen, in Rom beobachtet er interessiert in einer Synagoge eine Beschneidung. Montaigne wäre einer der standhaftesten Befürworter einer europäischen, ja, einer Weltgemeinschaft gewesen "Nicht weil Sokrates es gesagt hat, sondern weil es in Wahrheit meine Sinnesart ist, vielleicht nicht ganz ohne Schwärmerei, achte ich alle Menschen als meine Mitbürger und umarme einen Polen so innig wie einen Franzosen." Vergötzung und Heroisierung von Staatsmännern, Dichtern und Denkern liegt ihm fern. Von einer Magd gilt das gleiche wie vom verehrten Plato: "Es ist eine sterbliche Hand, welche darreicht, und es ist eine sterbliche Hand, welche empfängt." Seine Reise muss Montaigne eilig abbrechen - in seiner Abwesenheit und ohne sein Bestreben wird er zum Bürgermeister der Stadt Bordeaux berufen. Seine Aufgabe versieht er in den schwierigen Kriegszeiten so geschickt, dass ihm die seltene (und von ihm vielleicht nicht eben erstrebte) Ehre zuteil wird, für eine zweite Amtsperiode ernannt zu werden. Als er 1585 das Amt übergeben kann, hat er endlich seine Freiheit wieder. Wie wichtig sie ihm war mag man daran ermessen, dass Montaigne eine Stelle als Berater an der Seite Heinrich IV. nicht ablehnte, wohl aber eine Besoldung, weil er unabhängig bleiben wollte. Trotz aller Würden blieb Montaigne bescheiden: "Die Sprache, die ich liebe, ist einfach und natürlich, auf dem Papier nicht anders als aus dem Mund, ein Sprache voller Saft und Kraft, kurz und bündig, weniger geschniegelt und gebügelt als unverblümt und ungestüm." Wie die Sprache, so auch Montaignes Geist: nicht streng systematisch, sondern dem natürlichen Gedankenfluss folgend. Waren auch seine Lektüre und die Grundströmungen seiner Ansichten - seine stoische Gelassenheit, sein von Sextus Empiricus und Pico della Mirandola abgeleiteter Skeptizismus, und sein ausgeprägter Epikureismus - Gemeingut der Zeit, so ist doch die Art, wie er völlig vorurteilslos an die Objekte seines Lebens und Denkens herantritt unbedingt originell und erregend einzigartig. Am 13.9.1592 ist Montaigne dann auf seinem Schloß gestorben - seine Schriften aber haben bis heute überlebt und werden noch lange gelesen werden: "Dass ein solcher Mensch wie Montaigne geschrieben hat, dadurch ist die Lust, auf dieser Erde zu leben, vermehrt worden" sagt Friedrich Nietzsche. Halten auch wir sie lebenswert und lesen wir Montaigne. Systematik: Lbp 3 Umfang: 299 S. : Ill. Standort: Lbp 3 Mont ISBN: 978-3-8218-5766-4
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